Reiches Mädchen Erinnerung 1
Prinzessin auf der Erbse
Wie es dazu kam, dass mein Vater mir den Titel „Prinzessin “ verlieh
Als ich noch klein war…
nannte mich mein Vater mehrmals „Prinzessin auf der Erbse“. Das hatte ich nie zuvor gehört. Ich verstand nicht was er damit meinte und fragte ihn was das ist. Er erzählte mir von dem Märchen in dem ein Mädchen geprüft wird ob sie auch eine wirkliche Prinzessin sei. Um das heraus zu finden, legte die alte Königin heimlich eine Erbse auf den Boden der Bettstelle der Prinzessin. Würde sie sich am nächsten Morgen darüber beklagen wie schlecht sie geschlafen, weil sie auf etwas Hartem gelegen hat, wäre damit der Beweis erbracht. Denn nur eine echte Prinzessin kann so empfindlich sein, nur sie kann wirklich jede Erbse, und sei sie auch noch so klein, unter der Matratze spüren.
Sofort erwachte meine Fantasie. Stolz und mit großer Begeisterung verkündete ich meinem Vater den Vorschlag, noch eine zweite und dritte Matratze auf das Bett zu legen und noch eine und noch eine. So dachte ich, würde die Prinzessin die kleine grüne Erbse nicht mehr spüren und endlich tief und fest schlafen können. Mein Vater fand meine Idee gut und auch richtig. Doch seine Antwort machte mich ein bisschen traurig. Eindringlich erklärte er mir: „egal auf wie vielen Matratzen und Decken die Prinzessin schläft, sie wird immer jede klitzekleine Erbse spüren können“. Das machte mir Sorgen, welche sich sogleich einen Platz in meinem Kopf suchten um sich dort einzunisten. Aufmerksam hörte ich ihm weiter zu. Du, meine kleine Prinzessin Carmencita, spürst auch jede winzige Erbse unter deiner Matratze. Als ich nachfragte, ob das immer so sein wird oder sich das ändern würde wenn ich groß bin, verneinte er. Geduldig erklärte er mir, dass das bei Prinzessinnen so sein muss, sonst wären sie ja keine. Ich akzeptierte seine Antwort ohne zu diesem Thema weitere Fragen zu haben. Glücklich darüber eine Prinzessin zu sein, hüpfte ich freudestrahlend und zufrieden von einem Bein auf`s andere. Schließlich zog ich fröhlich von dannen um draußen auf der prächtigen Sommerwiese zu spielen.
Trotz der liebevollen Erklärung meines Vaters dachte ich viel darüber nach warum ich so ganz anders bin als all meine Geschwister, denn diese schliefen meist tief und fest. So viel ich auch grübelte, ich kam zu keinem Ergebnis.
Doch schon tauchte die nächste Frage auf. Was macht eine Prinzessin den lieben, langen Tag? Wie sieht ihr Leben, ihr Alltag aus? Gedanken schwirrten wild in meinem Kopf: „Was soll ich nun denken, sagen, machen oder besser bleiben lassen “? Als ich schließlich ich mit dem Grübeln aufhörte, ließ ich meinen vielen schillernden Ideen freien Lauf und das sah so aus: „Eine Prinzessin sollte schön, lieb, hilfsbereit, großzügig und gebildet sein. Stillschweigend dachte ich mir: „Das ist noch nicht genug, sie muss auch musikalisch, intelligent, verständnisvoll, gerecht, mutig und stark sein, außerdem tierlieb und naturverbunden“. Das könnte genügen. All diese Aufgaben fand ich vielfältig, abwechslungsreich und höchst interessant, angemessen um eine ehrwürdige Prinzessin zu sein.
In dieser Zeit fing ich an viel Verständnis für meine Mitmenschen zu haben, hilfsbereit zu sein, Verantwortung zu übernehmen, mutig , wie es sich für eine Prinzessin gehört, Partei für die zu ergreifen, die ungerecht behandelt wurden, niemals mürrisch zu sein oder mit dem Fuß aufzustampfen, mich gewählt auszudrücken sowie Millionen Fragen zu stellen um möglichst viel zu lernen.
Naiv, wie Kinder nun mal sind, sprach ich meine Wünsche aus. Ich wollte Klavier oder Geige spielen lernen, träumte davon in einem rosa Kleidchen am Ballettunterricht teilzunehmen, wünschte mir mehrere Sprachen zu lernen, trachtete danach zu wissen wie viele Länder es gibt, wo sie sind und wie sie heißen, auf ein Gymnasium zu gehen, für ein Haustier (Schildkröte) Verantwortung zu übernehmen, genügend Geld um zu reisen, reichlich leckeres Essen, immer adrett und sauber angezogen zu sein. So in etwa stellte ich mir das erlebnisreiche Leben einer richtigen Prinzessin vor.
Wenn mein Vater, was er oft und gerne tat, mir eine seiner interessanten Geschichten erzählte, hörte ich jedes Mal genau zu. Mit großen leuchtenden Augen lauschte ich immer sehr konzentriert wie sich seine vielen farbigen Worte zu einem spannenden Märchen aneinanderreihten. Er erzählte sie ein ums andere Mal ein bisschen anders. Wenn ich ihn daraufhin ansprach, schmunzelte er, verneinte es und erzählte munter weiter was ihm so in den Sinn kam.
Heimlich dachte ich mir: „Ach, so einfach ist das also. Man muss seiner Fantasie nur freien Lauf lassen und schon ist alles möglich.
Mein Vater wird mich schon lehren was eine Prinzessin alles wissen und tun muss, wie sie denken, sprechen und handeln sollte.
Ich liebte und bewunderte meinen Vater grenzenlos, daher vertraute ich ihm voll und ganz.
Kleines reiches Mädchen
Armes Mädchen Erinnerung 1
Schonungslos
Wie es dazukam, dass meine Angst ein Monster erschuf
Als ich noch klein war…
wurde ich eines Nachts, ich schlief bereits tief und fest, plötzlich auf eine unsanfte, ja unangenehme Weise wach.
Ich verstand nicht gleich warum. Was war los? Wo bin ich? Es ist so laut hier. Wie bin ich nur hier her gekommen? Vielleicht hatte ich nur einen bösen Traum!
Doch prompt hörte ich Schreie, dann deutlich ein lautes Rumsen und dumpfes Poltern. Es hörte sich an, als ob jemand Möbel umschmeißt. Sofort beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ängstlich kroch ich erst mal unter meine Decke, hoffte, dass dieser fürchterliche Lärm und das laute Schreien bald aufhören würde. Doch meine Hoffnung ging nicht in Erfüllung, ganz im Gegenteil, es wurde immer lauter. Beklommen nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und stand auf um nachzuschauen was passiert war. Ich wollte wissen wer da so laut schreit und warum. Vielleicht braucht jemand meine Hilfe.
Langsam, mit ängstlich schlotternden Knien, ging ich auf Zehenspitzen zur Tür. Unten an der Ritze bemerkte ich einen Lichtstrahl. „Es ist also noch jemand wach“, dachte ich insgeheim. Vorsichtig drückte ich ganz langsam die Türklinke runter. Die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt und so konnte ich wenigstens erkennen ob jemand in der Diele war. Gleichzeitig fürchtete ich, dass mich jemand bemerkt und hoffte nicht entdeckt zu werden. Erst konnte ich gar nichts sehen, der Gang war zwar beleuchtet, aber leer. Während ich noch nachdachte was ich als Nächstes machen soll, ging links gegenüber die Schlafzimmertür auf und meine Mutter lief weinend in den Flur. Im selben Moment sah ich wie mein Vater, mit wutverzerrtem, bösem Gesicht aus dem Schlafzimmer kam und auf sie zu stürmte. Meine Mutter hielt sich sofort beide Arme vor´s Gesicht und ich hörte sie verzweifelt weinen. Zu meinem Erschrecken sah ich fassungslos wie mein Vater seine Hand hob und sie meiner Mutter in`s Gesicht schlug. Dann noch einmal und noch einmal, immer wieder. Meiner Mutter liefen Tränen über ihre Wangen, ängstlich hörte ich wie sie leise flehte: „hör bitte auf, sonst werden die Kinder wach“.
Ich blieb wie versteinert auf der Stelle stehen, traute mich weder einen Schritt vor, noch zurück. Was wenn sie mich bemerken? Wird mein Vater mich dann auch schlagen? Was passiert wenn er meine Mutter weiter verprügelt? Wird sie dann sterben? Was soll ich nur tun? HIIIIILLLLLFEEEEE…hört mich jemand? Ich brauche Hilfe. Warum kommt niemand?
Trotz meiner übergroßen Angst fühlte ich mich schlecht, ja schäbig. Wie eine gewaltige Lawine überrollte mich das Gefühl „eigentlich müsste ich meiner Mutter helfen“, doch ich hatte keine Ahnung wie ich das hätte bewältigen können. Panik kam auf. Was soll ich zuerst tun? Mich in Sicherheit bringen oder meiner Mutter helfen? In Sekundenschnelle wurde aus meiner Verzweiflung ein riesiges, unheimliches, schwarzes Monster das groß und drohend vor mir stand. So gut ich konnte kämpfte ich mit aller Kraft mit diesem Ungeheuer um nicht völlig von ihm verschlungen zu werden.
Nach einiger Zeit, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, wurde es still. Meine Eltern waren wieder in ihr Schlafzimmer gegangen. Nun wusste ich nicht mehr was dort weiter passierte. Immer noch voller Angst quälten mich nun meine eigenen Vorstellungen wie z.B.: „was wenn mein Vater meine Mutter umbringt? Sie erwürgt“? Da ich es weder sehen noch hören konnte, würde ich meiner Mutter dann auch nicht helfen können. Sogleich fühlte ich mich verantwortlich wenn ihr was passieren würde. Doch meine Furcht war stärker. In das Schlafzimmer konnte und wollte ich nicht gehen. Wie in einer Endlosschleife drehte sich der ein und derselbe Gedanke im Kreis: „ was kann ich nur machen, soll ich meiner Mutter helfen und wie?
Hilflos und völlig verzweifelt fing ich schließlich leise zu weinen an. Meine Schwester war in der Zwischenzeit auch wach geworden. Sie hatte von alledem nichts mitbekommen. Sie war richtig sauer und sehr böse mit mir, da sie nun glaubte durch mein Weinen geweckt worden zu sein. Nun kam zu all dem Schrecklichen auch noch die Angst vor meiner Schwester hinzu. Da ich mit dem Weinen so schnell nicht aufhören konnte, biss ich in die Decke und versuchte mein Schluchzen so gut wie möglich zu verheimlichen, in der Hoffnung sie würde es nicht hören.
Allein gelassen mit meinen Ängsten war ich meiner Fantasie schutzlos ausgeliefert.
Ich fühlte mich hilflos, klein, armselig, einsam und völlig machtlos.
Es war niemand da der mit mir sprach, mir alles erklärte, mich beruhigte und tröstete, in den Arm nahm, streichelte und wartete bis ich wieder hätte einschlafen können.
Armes, kleines, Mädchen